Dies Domini – 32. Sonntag im Jahreskreis/Weihetag der Lateranbasilika, Lesejahr A
Vorbei ist die Zeit, in der man Kathedralen baute. Gekommen ist die Zeit der Eigenheime. Gegangen ist die Zeit, in der Menschen nicht Kosten und Mühen scheuten, um dem Glauben an einen Gott, der den Himmel auf die Erde kommend verließ, in lichtdurchfluteten Hallen Gestalt zu geben. Genaht ist die Sehnsucht nach kuscheliger Gemütlichkeit. Gewichen ist die Generationen übergreifende Opferbereitschaft und Mühsal, die zu schier übermenschlicher Leistung anspornende Kraft eines Glaubens, der noch Jahrhunderte später mit seinen für eine erhoffte Ewigkeit steingewordenen Zeugnissen Staunen hervorruft; gewichen ist sie einer Berufung auf die eigene Glückseligkeit, die sich an der Illusion einer Berufung berauscht, deren Exklusivität sich in der Zugehörigkeit einer immer kleiner werdenden Herde erweist, die sich in frommem Selbstbetrug als heiliger Rest eines einstmals auserwählten Volkes verstehen möchte – und doch nicht kann. Denn die Angst dieser kleinen Herde erweist sich in der Abschottung einer Welt gegenüber, die voller Gefahren für das eigene kleine Glaubensleben ist. My home ist my castle – König ist im Käfig des selbstgebauten Eigenheims selbst der Fromme, der der Welt gegenüber die Rechenschaft für seinen Glauben schuldig bleiben muss; einen Glauben, der eben keine Kathedralen zu schaffen vermag.
Die Welt wartet nicht auf die Kirche – das ist die Erfahrung, die vor kurzem eine Delegation des Dekanates Paderborn bei einem Besuch der Katholischen Citykirche Wuppertal machte. Sie war mit auf die Straße gegangen, wie es üblich für die Katholische Citykirche Wuppertal ist. Wenn die Kirche auf die Straße geht und der Welt begegnet, vergegenwärtigt sie auch heute noch die Erfahrung, die im Johannesprolog fast lapidar zum Ausdruck gebracht wird:
Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf. (Johannes 1,10f)
Wer sich in der Nachfolge Jesu, des fleischgewordenen Logos, in die Welt begibt, wird diese Erfahrung teilen. Wer die kuschelige Gemütlichkeit der Kirchenkreise mit gestalteter Mitte verlässt, um mitten unter die Menschen zu gehen, der macht diese urtypische Erfahrung des Logos neu: Die Welt wartet nicht auf die Jüngerinnen und Jünger des Auferstandenen.
Mühselig ist es, in dieser Welt der frommen und weniger frommen Eigenheime das nahe Reich Gottes auszurufen. Die Welt stört sich bis heute an der Gegenwart derer, die die Dynamik dieser Botschaft wirklich verstanden haben, einer Kraft, die schon die frühen Christen in einer Zeit angetrieben hat, in der an einen in Kathedralengestalt veräußerten Glauben noch gar nicht zu denken war. Die Erfahrung der lebenspendenden Kraft der Anhauchung Gottes, die die deutsche Sprache als „Heiliger Geist“ bezeichnet; die damit verbundene Erkenntnis der Gegenwart Gottes, der im Menschen selbst Wohnsitz nimmt; das so erworbene Wissen, dass es Gott ist, der mit machtvollem Hauch im Menschen atmet, lebt, wirkt, treibt, forderte Christen wie Paulus immer wieder heraus, die Grenzen selbstdefinierter Sicherheiten zu überschreiten. Den damals schon zu findenden Eitelchristen hält er entgegen:
Wir stehen als Toren da um Christi willen, ihr dagegen seid kluge Leute in Christus. Wir sind schwach, ihr seid stark, ihr seid angesehen, wir sind verachtet. Bis zur Stunde hungern und dürsten wir, gehen in Lumpen, werden mit Fäusten geschlagen und sind heimatlos. Wir plagen uns ab und arbeiten mit eigenen Händen; wir werden beschimpft und segnen; wir werden verfolgt und halten stand; wir werden geschmäht und trösten. Wir sind sozusagen der Abschaum der Welt geworden, verstoßen von allen bis heute. (1 Korinther 4,10-13)
Und Paulus lässt in einem Zusatz keinen Zweifel daran, dass sich erst in dieser Entäußerung an die Mächte der Welt das Ziel der Christusjünger erfüllt:
Nicht um euch bloßzustellen, schreibe ich das, sondern um euch als meine geliebten Kinder zu ermahnen. Hättet ihr nämlich auch ungezählte Erzieher in Christus, so doch nicht viele Väter. Denn in Christus Jesus bin ich durch das Evangelium euer Vater geworden. Darum ermahne ich euch: Haltet euch an mein Vorbild! (1 Korinther 4,14-16)
Es ist das Bewusstsein, Träger des göttlichen Hauches zu sein, das Paulus und seine Mitstreiter antreibt. Dass ist kein exklusives Vorrecht. Der göttliche Hauch weht in allem Leben, denn es ist der Heilige Geist selbst, der Herr ist und lebendig macht. Kein Leben kann ohne den göttlichen Hauch existieren. Aber nicht alle wissen das; selbst die Gemeinde Christi ist sich nicht in all ihren Gliedern dessen bewusst, so dass Paulus in der zweiten Lesung, die am Fest des Weihetages der Lateranbasilika verkündet wird. das in diesem Jahr auf den 32. Sonntag im Jahreskreis fällt, mahnend fragt:
Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? (1 Korinther 3,16)
Wer die Gegenwart Gottes in den Lebenden erkannt hat, wer weiß, dass es Gottes Hauch ist, der das Leben schenkt, der braucht keinen Ort der Anbetung Gottes mehr. Der Sitz der Herrlichkeit Gottes ist der Mensch selbst. Der Mensch ist nicht Gott, aber Gott wohnt in ihm. Deshalb ist der Mensch Gottes Tempel. Und deshalb gilt die Mahnung des Paulus:
Wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist heilig, und das seid ihr. (1 Korinther 3,17)
Ein Tempel ist kein Eigenheim. Ein Tempel ist der Ort der Gottesverehrung, kein Rückzugsort für die Frommen, sondern ein Ort der Begegnung des Ewigen mit den Vergänglichen. Der Tempel ist ein Ort der Verstörung für diejenigen, die das Absolute leugnen möchten, weil es sie selbst in Frage stellt. Gerade deshalb sind die getrieben, die die Gegenwart Gottes in den Lebenden erkannt haben. Es ist ja ein und derselbe Gott, der in allen und allem atmet. Wer zulässt, dass ein Tempel Gottes verdorben wird, macht sich quasi mitschuldig.
Deshalb können die, die erkannt haben, dass sie Trägerinnen und Träger des Heiligen Geistes sind nicht schweigen. Mag die Welt sie nicht hören wollen, die unerhörte Botschaft der Gegenwart Gottes können sie nicht für sich behalten.
Wer Gott begegnen will, wird ihn nicht hinter Mauern finden. Wer Gott finden will, findet ihn im Antlitz der Nächsten. Und das ist wörtlich zu nehmen. Die Nächsten sucht man sich nicht aus. Der Nächste ist der, der den Weg kreuzt. Man kann sicher nicht alle mögen. Die Erkenntnis der Gegenwart Gottes gebietet aber, die Nächsten als Tempel Gottes zu lieben.
Die Kirche der Eigenheime von heute baut keine Kathedralen mehr. Das ist vielleicht gut so, denn die Entäußerung des Glaubens in steingewordene Zeugnisse mag mitursächlich für eine Haltung sein, die die Erlösung in der Sicherheit schützender Kirchenmauern sucht. Der Tempel Gottes aber besteht nicht aus Steinen, sondern aus Fleisch und Blut:
Ihr seid Gottes Bau. (1 Korinther 3,9)
ruft Paulus aus. Und ein solcher Bau muss gut gegründet sein. Er braucht ein tragfähiges Fundament:
Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. (1 Korinther 3,11)
Und so wächst der Tempel Gottes, die Kathedrale derer, die an das fleischgewordene Wort Gottes glauben, auf diesem Fundament in die Welt hinein:
Der Gnade Gottes entsprechend, die mir geschenkt wurde, habe ich wie ein guter Baumeister den Grund gelegt; ein anderer baut darauf weiter. Aber jeder soll darauf achten, wie er weiterbaut. (1 Korinther 3,10)
Dieser Tempel Gottes wächst von Generation zu Generation – oft unter Mühsal und Opferbereitschaft, immer aber in dem Wissen um den, der den Himmel auf die Erde gebracht hat, damit die Menschen ihn erahnen.
Noch ist es so, dass die steingewordenen Zeugnisse die Silhouetten unserer Städte prägen. Noch ist es so, dass die Türme der Kirchen und Kathedralen Landmarken sind, die Orientierung geben. Selbst die säkulare Welt trägt sie noch in ihre Landkarten ein. In den ersten Städten aber werden sie aber schon jetzt überwuchert von den Hochhäusern des Finanzwesens und den Kristallbauten der Konzerne. Wenn der Tempel Gottes weitergebaut werden soll, dann müssen die Christen die Eigenheime wohliger Frömmigkeit verlassen und die Mühsal von Bauwerkern auf sich nehmen, die den Herausforderungen der Welt trotzend Zeugnisse des Glaubens aufrichten, auf das die Welt den Atem Gottes im Nacken spürt.
Allein die Frage bleibt: Sind da noch Schafe, die sich unter die Wölfe wagen?
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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